15/09/2024 0 Kommentare
Mein Ort in Berlin - von Pfarrerin Cordula Machoni
Mein Ort in Berlin - von Pfarrerin Cordula Machoni
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Mein Ort in Berlin - von Pfarrerin Cordula Machoni
Immer, wenn meine Beziehung zu Berlin gerade nicht so gut läuft, gehe ich in die Lehrter Straße 68, um mich wieder neu in die Stadt zu verlieben.
Schon von Weitem begrüßt mich ein leuchtend blauer Schriftzug – darauf steht: „Jugendgästehaus“, eine öffentliche Kantine der Berliner Stadtmission, in der zum Glück auch Menschen wie ich willkommen sind, die nicht mehr ganz jung sind.
Das gläserne Haus bietet viel Transparenz. Nichts, was drinnen vor sich geht liegt, geschieht im Verborgenen. Einzige Barriere sind die fünf hohen Treppenstufen, die zum Eingang führen, aber irgendwie sind auch die sinnvoll, denn für mich wartet dahinter so etwas wie der Himmel auf Erden – und der Weg zum Himmel führt schließlich nach oben. Manchmal steht übrigens sogar als Gericht „Himmel und Erde“ auf der Speisekarte und verbindet beides: Himmel und Erde.
Ich nehme also Platz und dann beginnt, was ich im Großstadttaumel so oft vergesse: das Staunen. Die Räume sind hell und weit. An der Essensausgabe eine lange Schlange. Alle warten einträchtig: die mit wenig Geld und noch weniger Dach über dem Kopf und die, deren Anzug Bedeutung oder zumindest ein geregeltes Leben vermuten lässt. Manchmal mache ich dann kurz die Augen zu. Es fühlt sich dann so an, als würde ich mitten im Sommer auf einer großen Wiese stehen: Überall summt und brummt es. Alle reden gleichzeitig und irgendwie doch miteinander. Dann denke ich: Wie oft ist diese Stadt und ihre ständige Geräuschkulisse nur Lärm in meinen Ohren. Hier aber wird alles zu einer Melodie, die mich verzaubert, die einen Sinn ergibt: Die Melodie verbindet sich mit den Düften des Essens.
Die, die austeilen, schwingen Kellen und Löffel. Als Dessert gibt es ein gutes Wort für alle. Und manchmal kann es sein, dass es auch ein paar mehr sind – je nachdem, was jeder braucht. Die in der Schlange warten geduldig. Irgendwie spürt hier jeder Mensch, dass er gesehen wird. Jeder hat das gute Gefühl: Ich komme dran. Und es schmeckt. Und es tut gut. Und bezahlbar ist es auch.
Das meine ich mit Himmelreich: dass schon da ist, was guttut. Ohne, dass ich etwas dafür tun muss. Und das mitten in meinem geliebten Berlin.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.
Die Bibel, Matthäusevangelium, Kapitel 4.
Hier hören: https://rundfunkdienst.ekbo.de...
"Mein Ort in Berlin" ist ab dem 1. September 2024 jeden Sonntag um 8.50 Uhr auf rbb 88,8 zu hören.
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